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Meine persönliche Bilder-Galerie

 

                                                                                                                                                        http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ea/Jan_Vermeer_van_Delft_003.jpg

Vermeer van Delft (1632 - 1675): Briefleserin am offenen Fenster

 

Der ferne Geliebte

Das Briefeschreiben und -lesen, insbesondere das der Liebesbriefe, zählt zu den wichtigsten bürgerlichen Themen der holländischen Genremalerei. Vermeers Bilder werden durch ihre Briefe beredt und rätselhaft zugleich: Welche Botschaft ist es, die auffälligerweise immer von einer Frau gelesen oder auf den Weg gebracht wird? Die Röntgenaufnahme der "Briefleserin am offenen Fenster" hat gezeigt, dass Vermeer in die Szene ursprünglich das Bild eines Cupido einfügen wollte, um auf die Lektüre eines Liebesbriefes hinzuweisen. Der Verzicht auf diese eindeutige Anspielung erweitert das Auslegungsspektrum allerdings auf den Bereich des Persönlichen überhaupt. Ganz gleich, was der Inhalt des Briefes ist, er richtet sich allein an diese junge Frau, die zur Aufnahme der intimen und indirekten Kommunikation, an Kierkegaards "Tagebuch eines Verführers" erinnernd, ein einsames Zimmer und in diesem eine Nische zwischen Fenster, Tisch und Wand gewählt hat, wo sie sich in Stille, unbeobachtet und mit roten Wangen als Zeichen innerer Bewegtheit in das Geschriebene versenken kann. Ihr Spiegelbild im Fenster, dessen Bleiverglasung auch Elemente des Innenraums reflektiert, betont ihre gedankliche Konzentration. Dabei symbolisiert das bei Vermeer häufig anzutreffende Motiv des weit geöffneten Fensters offensichtlich den Wunsch, die Innenwelt des Hauses zu verlassen und mit Menschen und Dingen da draußen Kontakt aufzunehmen. Die in sich Versunkene erweckt den Eindruck einer intimen Nähe, ihre Position im Bild hinter dem Tisch den einer unzugänglichen Ferne, sodass eine eigenartige Spannung zwischen diesen Extremen entsteht. Analoges gilt für das Verhältnis zwischen der Schärfe des Bildzentrums und der Unschärfe seiner Ränder, die Dialektik von innen und außen unterstützend. Die in Schieflage durcheinander geratenen Äpfel und Pfirsiche sind meistens als Erinnerung an Evas Sündenfall gedeutet worden, demzufolge sich mit dem Empfang des Briefes eine heimliche Liebesbeziehung anbahne. Sie können aber auch viel genereller als Zeichen einer inneren Unruhe des Mädchens aufgefasst werden, unterstützt durch die aufgewühlte, mit dem fein geprenkelten Muster verzierte Tischdecke, die ja das Herunterpurzeln des Obstes allererst verursacht. Die Mehrzahl der Früchte liegt aber noch in der Schale, sodass der Hausfrieden vielleicht gefährdet ist, aber nicht notwendig zerstört zu sein braucht. So ergibt sich ein differenziertes Wechselspiel zwischen weitgehend vertikal gelagerter Statik und horizontaler Dynamik, in dem die aufrecht stehende Frau trotz ihrer inneren Erregung das ruhende Zentrum des Bildes verkörpert. Sie wird zu entscheiden haben, wie sie mit ihren neuen Gefühlen umgeht, welche Schlüsse sie aus den erhaltenen Mitteilungen zieht. Wünsche, Gewissensregungen und konventionelle Rücksichtnahmen bestimmen die Lesende gleichermaßen. Dass sie sich im Fensterglas spiegelt, könnte ihr Eingeschlossen-Sein im Interieur oder ihre Einsamkeit bedeuten. Die freie Fläche der bilderlosen Wand hinter ihr mag dies unterstützen, auch auf das Gefühl der Langeweile hindeuten, das zugleich ein Motiv für Veränderungen sein kann - nicht zufällig trifft das von außen eindringende Licht zentral in eben diesen schmucklosen Bereich. Neues wird gedanklich antezipiert, Gewohntes dagegen aufgewogen. Das zerknittert herunterhängende Briefpapier korrespondiert einerseits mit dem aufgebauschten Tischteppich, andererseits mit der über den Fensterflügel geschlagenen Gardine; kontrapunktisch dazu verhalten sich Fenster, Wand und der auffällig große zusammengezogene Vorhang, von dem nicht feststeht, ob es sich um die Illusion eines Bilderschutzes handelt, oder ob er als bildinterne Teilung des Raumes in einen vorderen Bereich für den heimlichen Beobachter, Vermeers Bildbetrachter, und einen hinteren, den eigentlichen Geschehensraum, gemeint ist, womöglich beides. Was dieses Bild jedoch - wie auch alle anderen der wenigen Bilder Vermeers - so einzigartig, ja atemberaubend schön erscheinen lässt, ist die äquilibristisch abgestufte Konstellation der Farben gelb, rot, schwarz und die überaus lebendige Verteilung von Licht und Schatten. Bezeichnenderweise findet sich ausgerechnet in diesem Bild das sonst so reichlich verwendete, teure Ultramarin nur in der beleuchteten "Kuppel" des Tischtuchs - sollte dies ein Hinweis auf ein der Frau Fehlendes sein? Zu der geradezu magischen Ruhe, die das Bild bei all seinen inneren Spannungen ausstrahlt, trägt das von außen hereinfallende, den ganzen Raum zart vergoldende Licht das seinige bei. Der Gedanke an Benjamins Bilder charakterisierende Idee einer "Dialektik im Stillstand" liegt auf der Hand: Zukünftiges, Gegenwärtiges und Vergangenes berühren einander. Kein einziges von Vermeers Bildern verwendet übrigens ein geschichtlich bedeutendes Motiv, alle begnügen sie sich mit alltäglichen Szenen, damit auch nichts Außerästhetisches von der großartigen Kunst der Situationsgestaltung, der Verewigung von Augenblicken - du einer, verweile doch, denn du bist so schön! - ablenkt.                               

                                                                                                                                                Dr. Ulrich Müller

 

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 Rembrandt van Rijn: Portrait seiner Frau Saskia van Uylenburg, gemalt kurz nach der Heirat 1634.

 

 

Gemalte Liebe

Rembrandt hat seine Frau Saskia oft gemalt, sie bildete eine nicht unbedeutende Quelle seiner Inspiration. Sie stand Modell für viele Gemälde und Zeichnungen, in denen sie als klassisch-mythologische, auch biblische Frauengestalt erscheint, allerdings nie für ein konventionelles Porträt. So scheint mir Stephanie S. Dickeys diesbezügliches Urteil einer "Vereinigung von Liebe, Kunst und Kommerz auch nur die halbe Wahrheit zu treffen. Jedenfalls erhellt keines seiner Bilder das Eigene ihrer Erscheinung so sehr und in vollständiger Konzentration auf ihren individuellen Gesichtsausdruck wie dieses. Meistens ist die Verehrte in repräsentative Kleidung gesteckt und mit prächtigem Geschmeide umgeben. Hier hingegen genügt dem Künstler die zarte Andeutung einer Kette vor dunklem Hintergrund. Die breiten Halspailletten und das dünne, durchsichtige Kopfband dienen ausschließlich der Hervorhebung des hellen Gesichts mit seinen roten Backen, den spaltbreit geöffneten Lippen, den großen braunen, sprechenden Augen. Die rotblonden Haare bedecken die Stirn fast vollständig, umspielen die Augenbrauen von oben, überdies unterstreichen die gedrehten Locken den sehr sinnlichen Charakter der Frau. Nach den fragwürdigen Maßstäben unserer Zeit gilt sie nicht gerade als eine Schönheit, zu groß wirkt die Nase, und der fleischige Hals lässt Ansätze eines Doppelkinns erkennen. Für ihren verliebten Mann ist dies alles kein Makel, zumal er es mit künstlerischen Mitteln leicht hätte verdecken können. Aber Rembrandt geht es um ein authentisches, ehrliches und ungeschminktes Portrait seiner geliebten Frau, das sie genauso zeigen soll, wie er sie sieht, und zwar ganz einfach deshalb, weil er sie so und nicht anders liebt. Malen impliziert Sehen, und der liebende Maler sieht hier nur die geliebte Saskia. Als sie 1642 im Alter von noch nicht einmal 30 Jahren stirbt, fällt er in eine tiefe Schaffenskrise.                         

Dr. Ulrich Müller

 

 

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Jan Brueghel (1601 - 1673) : Paradies (1620)

 

Die Schwierigkeit, ein gutes Tier zu sein

Es sind die Tiere und die Früchte, die Brueghels Paradies so farbig erscheinen lassen. Jene gelten als unschuldig, weil nur triebgesteuert, diese symbolisieren Objekte der Begierde, die u.a. Evas Sündenfall und die daraus folgende Vertreibung des Menschen aus dem Paradies auf den Weg gebracht haben. Dazu bedurfte es jedoch zunächst eines Verbots und auch einer bewussten Übertretung desselben, nach der biblischen Schöpfungsgeschichte eines Gottes und eines Menschen. Genau genommen jedoch bedürfte es in einem vollkommenen Reich keinerlei Vorschriften, weil ohnehin jeder das Gute nicht nur wüsste, vielmehr auch täte. Dass weder vollkommene, göttliche, noch unvollkommene, menschliche Wesen in diesem Bild eine Rolle spielen, kann kein Zufall sein: Ein solches Paradies war noch nie, und wenn es keine Utopie bleiben soll, so müssen Menschen und Götter vorher verschwinden. Aber ist ein friedliches Zusammenleben von Tieren in der Natur nicht genauso utopisch? Der im Bild dargestellte Ausdruck von einträchtiger Harmonie nicht bloß fiktiv? Nur dann, wenn wir eine künftige Evolution aller Lebewesen zu Vegetariern für unmöglich halten. Dieses Konditional beruht offenkundig auf der Voraussetzung, dass wir Menschen zu gerne Fleisch essen. Doch das "Nur dann" spricht dieser evolutionär-volitionalen, triebgeleiteten Bedingung den Status der Notwendigkeit ab.

Vielleicht ist ja Ernst Blochs ästhetisches "Noch-nicht", das einen utopischen Vorschein der Kunst bezeichnet, auch nicht-anthropozentrisch zu verstehen, etwa bloß kreatürlich: als "Exaggerierung und Ausfabelung eine[s] im Bewegt-Vorhandenen selber umgehenden und bedeutenden Vor-Schein von Wirklichem", sei es individuellem, sozialem oder eben auch naturhaftem. Aber was machen wir dann mit den germanischen, griechischen oder christlichen Schöpfungsmythen? Oder ist das Paradies etwa auch einer? Sein Name deutet mehr auf ein Ziel statt auf einen Ursprung, und der Breughel'sche ist das gerade Gegenteil des Hobb'schen Naturzustands, in dem der Mensch dem Menschen zum Wolf statt der Wolf zum Freund aller anderen Kreaturen wird. Ist solches künstlerische Werden die Darstellung eines transzendenten Seins oder die Spur eines wirklich Möglichen? Phantasterei oder Reflexion legitimer Wünsche? Wolkenkuckucksheim oder die Vision eines tatsächlich Herstellbaren? Verblendung oder Sinntotalität? Utopie oder Ideal? Wenn weder das eine noch das andere, was dann? Ernsthafte Fragen, vor die uns die Erscheinung der Natur in klassischen Kunstwerken stellt. "Was Natur vergebens möchte", sagt Adorno, "vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf. Die erscheinende Natur selber gewährt, sobald sie nicht als Aktionsobjekt dient, den Ausdruck von Schwermut oder Frieden oder von was immer. Kunst vertritt Natur durch ihre Abschaffung in effigie; alle naturalistische ist der Natur nur trügend nahe, weil sie, analog zur Industrie, sie zum Rohstoff relegiert."

So gesehen, ermöglichen es uns allererst traditionelle Gemälde, die Natur so zu sehen, wie wir sie sonst nicht sehen können, weil wir sie uns zu Diensten machen, und zwar auch dann, wenn wir ambulando Erholung in ihr suchen: als Zweck an sich selbst, eine Formel, die Kant dem Menschen vorbehielt, der nach seinem Gusto über sie verfügen darf. Dass solches Dürfen im Zeichen selbtherrlicher Aufklärung längst an seine Grenzen gestoßen ist, haben u.a. die Veröffentlichungen des Club of Rome nachgewiesen und Philosophen nach Hans Jonas in der Ethik zentral berücksichtigt. Organismen, auch nicht-menschliche, sind gegenüber Maschinen (immer noch) von einer qualitativen Andersartigkeit.  

Rousseaus "Retournons à la Nature" ist ohne einen menschlichen Adressaten, der sein Eigentum sowie die Regeln der Zivilisation aufgeben und dennoch den Frieden des einsiedlerischen Nebeneinanders von Einzelindividuen finden soll, kaum verständlich: keine Utopie, aber schon lange keine Real-Möglichkeit mehr. Gibt es denn auch eine Ideal-Möglichkeit? Sartre wiederum hat das Utopische der Kunst immer politisch verstanden, als sinnfälligen Aufruf zur Realisierung von mehr Freiheit. Ist dieser transzendentale Begriff auf Tiere anwendbar? Die dargestellten blicken den Betrachter des Bildes eindringlich an: Warum leiden unsere eingesperrten, gejagten oder gequälten Artgenossen unter euch? So könnte uns Brueghel das ebenso freie wie lebendige Sinnbild eines von Kant nur ironisch als ewig bezeichneten Friedens vorhalten, dem zur Verwirklichung nur noch die geeigneten Menschen fehlen. Die Gattungseitelkeit des homo sapiens eignet sich Nietzsches biologistischem Urteil zufolge ohnehin nur für die Ausübung des Willens zur Macht, den Breughel in einen tierischen Willen zum Frieden verkehrt, um nicht zu sagen moralisch korrigiert. Realistischerweise jedoch wäre es schon viel für einen sogenannten homo sapiens, so Adorno, wenn er von sich sagen könnte, ein gutes Tier (gewesen) zu sein.

Dr. Ulrich Müller

 

 

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Antoine Watteau (1684 - 1721) : Einschiffung nach Cythera (2. Fassung von 1717)

Zur Deutung aller drei Fassungen

 

 

 

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Caspar David Friedrich (1774 - 1840): Mondaufgang am Meer (1822)

 

Aufruf zum gemeinsamen Ahnen von Unendlichkeit

Caspar David Friedrichs soziale Ausgestaltung der romantischen Weltsicht

Im Unterschied zu Friedrichs gleichnamigen Bild von 1821, das als eine Allegorie der Liebe und, wenn die sittsame Trennung der beiden Geschlechterpaare berücksichtigt wird, auch der Freundschaft gelten kann, wobei die zwei in Küstennähe segelnden Schiffe den gemeinsamen Lebensweg symbolisieren sollen, verweist uns das obige Bild auf eine zweifache Dreier-Konstellation: Drei Personen, zwei zusammensitzende, gleich gekleidete Frauen und ein in gebührendem Abstand rechts neben ihnen sitzender Mann, alle drei stattlich in Schale geworfen und auf einem erhabenen, konkav geformten Felsstein sitzend, auf der Landseite, und auf der Seeseite drei Segel, deren größtes frei im Raum zu schweben und auf der konvex gekrümmten Himmelslinie aufzusitzen scheint. Es liegt auf der Hand, das gesamte Ensemble als Symbol der christlichen Dreifaltigkeit aufzufassen, und zwar dergestalt, dass die im Glauben der Personen irdisch-gegenwärtige Dreifaltigkeit mit der lebenszukünftigen (die beiden unteren Segel) und himmelszukünftigen (das obere Segel) korrespondieren, im Einklang miteinander sich befinden. Unterstützt wird diese Deutung durch die einander zugeneigten Kurven von Felsen und Himmel, deren, gemessen an der Gesamtproportionierung des Bildes geringer, Abstand von den auf den Horizont schauenden Personen ausgefüllt wird - um genau zu sein, ragen die Köpfe der beiden Frauen in den schmalen, von der untergehenden Sonne hell erleuchteten Himmelsbereich hinein, während der Kopf des leicht geduckt sitzenden Mannes nur von einem kleinen Lichtstreifen gekreuzt wird. Dieses Detail könnte auf den Grad der Glaubensstärke der drei hindeuten. Wichtiger hingegen scheint mir die ästhetisch-dramaturgische Funktion des aufrechten Sitzens und Schauen der Frauen und des sich ihrer Haltung in geringem Abstand anschmiegenden Mannes zu sein, eine harmonische Gemeinschaft zwischen ahnendem Mensch, geneigter Natur und visisionärer Hoffnung entstehen zu lassen. "Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint": dieser Satz Adornos beleuchtet die dargestellte Ausnahmesituation sehr treffend. In ihr tritt das romantische Interesse an Individualisierung zurück zugunsten der Sozialisierung einer Vision von Transzendenz. Diese sprengt hier den Rahmen des einsamen Wanderers. Für das Miteinander dieser Erfahrung möchte der Maler mit seinem Bild werben. Wie schmal ihr Bereich schon für Friedrich war, zeigen das umfangreiche und dunkle Felsgeröll in der unteren Bildhälfte ebenso wie die ausladenden Wolkenschleier in der oberen. Entscheident für die Wahrnehmung transzendenten Lichts bleibt die innere Gestimmtheit der Figuren, die eben auch eine soziale Dimension hat. Das Numinose ist heute kaum mehr erfahrbar - am wenigsten beim Foto-Shooting-Sunset in Oia, am ehesten wohl noch im gemeinsamen Erleben von Live-Konzerten oder dramatischen Fußballschlachten.

Ulrich Müller

 

 

File:Monet, Claude - Corner of the Garden at Montgeron.jpg

Claude Monet (1840 - 1928) : Ecke im Garten von Montgeron

 

Claude Monets Metaphysik der Wahrnehmung

Monets zahreiche Gartenbilder zeugen keineswegs von seiner Begeisterung für Naturmotive, wie sie romantische Künstler auszeichnet. Auch als Landschaftsmalerei im traditionellen Verständnis lassen sie sich nicht angemessen verstehen. Der äußerst aufwändig gestaltete Garten seines Hauses in Giverny, in dem ein einziger Gärtner nur für die Pflege der Seerosen verantwortlich zeichnete, ist, so paradox es klingt - weniger Ausdruck einer Vorliebe für   bestimmte Sujets (Blumen, Bäume, Wasser, Himmel etc.) als vielmehr Inspirationsquelle einer spezifischen Auffassung vom Malen, die als wahrnehmungsmetaphysisch bezeichnet werden mag. Nicht die Motive interessieren mich, hat er sinngemäß gesagt, sondern das, was sich zwischen ihnen und mir - gemeint ist nicht sein biografisches, sondern künstlerisches Ich - befindet. Es handelt sich also um eine Metaphysik des "Zwischen" statt des üblichen "Hinter". Auch die Farben, deren autonomer Wert seinem Impressionismus immer wieder als wesentlich zugeschrieben wird, verkörpern nicht das Zentrum dessen, worauf es ihm ankam: das Erzeugen einer atmosphärischen Einmaligkeit. Der Betrachter soll ein individuelles, ort- und zeitgebundenes Wahrnehmungserlebnis nachempfinden. Dieses zu ermöglichen, dazu dienen die malerischen Techniken, die Monet u.a. als Verwendungsweisen der Farben sowie des Licht-Schatten-Kontrastes begreift. Es kommt, vereinfacht gesagt, auf die richtige Dosierung,Verteilung und Proportionierung von Farbe und Licht, nicht auf diese selbst an. Nichts darf zur künstlerischen Gewohnheit, zum stilistisch Typischen eben werden, damit die Frische des Zum-ersten-Mal sich erhalten kann. Der empfangene Eindruck ist von einem Bewegungsreichtum, das berühmte "Flirren", welches sich realistischerweise nur bei einer schnellen Fortbewegung etwa in lichtdurchfluteter Parklandschaft einstellen würde. Das ist der entscheidende Punkt: Die Individualisierung des Gemalten durch mindestens zwei Strategien: 1. dessen Einbettung in ein labyrinthisches Spiel von Licht- und Farbbrechung im Sinne einer differenzierten Filterung, erkennbar in den Spiegelungen des Wassers und den verschiedenen Helligkeitsvaleurs des Grüns der Hintergrundbäume; 2. die Reflektierung und gleichzeitige Potenzierung des Lichtes durch das leuchtende Rot und Weiß der Bumenköpfe. Ausgerechnet die dunkelsten Farbtöne, das Rot, Orange und Grün am unteren Bildrand, besitzen die stärkste Leuchtkraft.

Noch an einem Stück visuell eindrucksvoll auskomponierter Natur, "Gartenkultur", demonstriert Monet deren artifizielle Individualisierbarkeit und Vitalisierbarkeit, den ästhetischen Primat der Kunst über die Natur, wohl auch den der Malerei über die Gärtnerei.

Dr. Ulrich Müller

 

  

 

William Turner (1775-1851): Light and Colour

 

Die Platonische Idee der Malerei

Das wenig romantische Spätwerk des Londoner Romantikers Willian Turner ebnet nicht nur dem Impressionismus, sondern auch der Moderne den Weg. Seine Techniken der Motivreduktion und Flächenauflösung dürften von keinem anderen Künstler seiner Zeit vergleichsweise weit vorangetrieben worden sein. Auf den ersten Blick wirkt "Light and Colour" von 1843 wie die unscharfe, "verschwommene" und etwas überbelichtete Fotografie eines Chaos' durcheinander gewirbelter Licht- und Wassermassen, die durch die Grundausrichtung der Rotation zusammengehalten werden. Die Farben hingegen sind gänzlich unnaturalistisch gewählt und verleihen dem differenzierten Wechselspiel von Licht und Schatten mit Zwischentönen aus Rot, Braun, Gelb, und Violett attraktiven Glanz. Ausdrücklich bezieht sich Turner auf Goethes Farbenlehre zurück, die ihn zu seiner Konzeption von Farbe als Hell-Dunkel-Verhältnis inspiriert hat. So ist eine Zentrierung des Gemäldes auch nur durch die Farb- und Lichtrelationen und bestenfalls tendenziell, d.h. zum linken unteren Bildrand hin auszumachen; zu sehr konkurrieren die Sogrichtung der Wasserfluten, der schmale weiße Lichtkorridor und seine mäandernden schwarzen Ränder, von denen der obere offenbar ein havariertes Schiff darstellen soll, um die Aufmerksamkeitsgunst des Betrachterauges. Die zahlreich umhertreibenden Menschenköpfe verleihen der Darstellung ihren Schrecken - nicht zufällig heißt das Bild im Untertitel "Der Morgen nach der Sintflut". Aber weder religiöse noch historische Gründe ließen Turner so oft Katastrofen, Schiffsunglücke, Vulkanausbrüche oder brennende Parlamentshäuser malen, sein Interesse gilt allein den Farb- und Lichtwirkungen, die solche Ereignisse zeitigen. Auch mit einer "Ästhetik des Schreckens" sind seine späten Bilder kaum angemessen zu beschreiben, da es ihm weniger auf die Gefühlswirkung als auf das visuelle Fassbarmachen der Augenblicksbewegungen ankommt. Dies unterscheidet ihn von Edgar Allan Poe, der fast zeitgleich 1841 die erste Horror-Geschichte, "Sturz in den Mahlstrom", schrieb - bei aller Motivgleichheit. Der von Burke und Kant begründeten "Ästhetik des Erhabenen" bedient sich Turner nur hinsichtlich der bildnerischen Effekte, nicht der menschlichen Affekte wegen.

Im Grunde handelt es sich bei "Light and Colour" um die selbstreflexive Ausgestaltung der essentiellen Bestandteile der Malerei, um nichts anderes als ihr Wesen: Turner malt gewissermaßen die Platonische Idee der Malerei in sinnlich wahrnehmbarer Gestalt. Bei Platon war sie nur dem Denken zugänglich, nun dürfen wir sie auch anschauen.

Dr. Ulrich Müller

Ein philosophisch nicht minder aufschlussreiches Gemälde schuf Turner 1844 mit "Rain, Steam, and Speed". Wieder dient ihm die Natur, insofern ist er doch noch Romantiker, dazu, elementarische Kräfte und Bewegungen (Regen, Dampf, Geschwindigkeit) mit Hilfe von Farbe und Licht phänomenologisch fassbar zu machen. Hier werden also nicht die Materialien der Malerei, sondern die der Industrialisierung und des technischen Fortschritts in ihrer sichtbaren, farblichen wie atmosphärischen Auswirkung gezeigt:

 

 

William Turner: Rain, Steam, and Speed (1844)

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